schreiberlink-kolumne

Neulich in Caracas

Ein Kommentar

Ich saß – gemütlich eine Tasse Kaffee trinkend – bei einem Kunden in der Nähe der Innenstadt. Am Abend musste ich mit einem Inlandsflug weiter. Ich bat meinen Gastgeber, mir rechtzeitig ein Taxi zum Flughafen zu bestellen. Ein Stunde Fahrzeit plant man üblicherweise ein. Genügend Zeit um problemlos durch die Innenstadt von Caracas zu kommen und dann noch die 900 Höhenmeter hinab zum Flughafen Marquetia, der direkt am Meer liegt, zu bewältigen.
Da die Ortsansässigen nie mit Stau rechnen und um Diskussionen zu vermeiden, gebe ich meine Abflugzeit stets 30 Minuten früher an. So komme ich nie in Zeitdruck.
Das Taxi kommt zur vereinbarten Zeit. Doch irgendwas stimmt heute nicht. Nach einer halben Stunde sind wir immer noch in der Innenstadt. Skeptisch frage ich meine Taxifahrerin, ob wir es denn rechtzeitig schaffen. „Si, si, “
Sie ist sich sicher, wir schaffen es. Dabei versinkt die Stadt versinkt komplett im Verkehrschaos. Demnächst sind Wahlen und die sozialistische Partei hat Tausende von Demonstranten mobilisiert, die in roten T-Shirts durch die Straßen ziehen und dabei den Verkehr still legen. Aus allen Richtungen dringen die Parolen und Lieder vergangener Revolutionen aus Lateinamerika an mein Ohr:
Venceremos; Venceremos „ Wir werden siegen“
Meine Bedenken werden größer. Wir sind bereits 45 Minuten unterwegs und haben noch immer nicht den Autobahnzubringer erreicht. Ich frage die Taxifahrerin erneut, ob wir wirklich noch eine Chance haben. Da sie ihren Fahrgast nicht verlieren will, versucht sie mich mit „Tranquillo „ und „Si, Si, Si „ zu beruhigen. Doch ich verliere das Vertrauen zu den Worten, eine gewisse Skepsis in ihrer Stimme ist zu erkennen.
Auf zwei Rädern ist man deutlich schneller, denke ich, als ich zwei Motorräder samt deren Fahrern am Straßenrand stehen sehe. Spontan bitte ich die Taxifahrerin anzuhalten und frage die Biker, ob sie mich und mein Gepäck wohl zum Flughafen bringen könnten. Die beiden lassen sich nicht auf meinen Vorschlag ein, verweisen mich jedoch an den Stand der Moto-Taxis, der gleich da vorne direkt an der Kreuzung ist. Ich spurte hundert Meter weiter und tatsächlich, die Fahrer der Moto-Taxis sind bereit, mich zum Flughafen zu bringen. Doch wo ist inzwischen das Taxi abgeblieben, in dem mein Gepäck steckt?
Die meisten Taxis in Venezuela haben kein Schild auf dem Dach und sind nicht von normalen Autos zu unterscheiden. Die Dämmerung bricht schon herein und ich stehe an der Kreuzung, an der 200 Autos im Stau stecken und jedes in seine Richtung weiter drängelt. Ich weiß nicht einmal mehr, welche Automarke das Taxi ist, geschweige denn, dass ich mich an die Farbe erinnere! War es grau, silbern oder braun, alles kann ich mir in meiner Fantasie vorstellen.
Nachdem ich die Kreuzung in alle Richtungen abgesucht habe, sehe ich sie, meine Taxifahrerin. Sie ist auf der anderen Straßenseite an den Rand gefahren, ausgestiegen und telefoniert. Ich drängle mich über die vierspurige Straße zu ihr, hole ruckzuck mein Gepäck aus dem Kofferraum, bezahle die Dame für die Strecke, die sie mich gebracht hat. Ich eile mit Koffer und Aktentasche zu den Motorradtaxis, die eher Mopeds als Motorräder sind. Mit meinem Gepäck auf einem Zweirad, ich selbst auf dem Sozius des anderen Bikes sollte es möglich sein, schneller durch den Stau zu kommen, einen Teil der verlorenen Zeit wieder aufzuholen. Statt mit Expandern oder mit Gurten und Schnüren, kleben und binden wir meinem Koffer Scotchband auf den Gepäckträger des ersten Motorrads. Nun soll die Aktentasche noch oben drauf gebunden werden. Ich erkenne sofort, dass das Klebeband bereits zur Neige geht, und schicke den Biker, der mich fahren soll, in den nächsten Supermarkt, um ein weiteres Klebeband zu kaufen. Nach gefühlten zehn Minuten ist der Fahrer noch immer nicht zurück. In meiner Not frage ich einen weiteren Biker, ob er denn bereit sei, mich an den Flughafen zu fahren. Kein Problem sagt der Kerl, dessen hundert Kilo Lebendgewicht alleine ausreichen, um jedem Moped Angst einzujagen. Wie wird es zu zweit werden samt Aktenkoffer, den ich nun, da kein weiteres Packband da ist, in der Hand behalte. Ich komme nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Mit einem leichten Plastik-Helm über auf dem Kopf geht es los und ich höre, wie beim Start ein Fahrer zum andern sagt: „ Tiengo que pasar todavia a la bomba“ – Ich muß noch an die Tankstelle. Damit verliere endlich die letzte Hoffnung den Flieger zu erreichen. Das Einchecken in Venezuela kann schon für sich alleine ein Drama sein, die Abfluggebühr muß ich auch bezahlen und dann noch die Security durchlaufen,
also mich an drei Schlangen anstellen, somit ein unkalkulierbares Flughafen-Programm absolvieren – doch jetzt müssen wir erst einmal tanken. Anschließend – beim Aufsitzen auf das Moped hebe ich meine Aktentasche hoch, die sich keinen besseren Zeitpunkt hat aussuchen können, um mich im Stich zu lassen. Der Handgriff reißt ohne Vorwarnung ab. Ich muß die Tasche irgendwie anders festhalten, zwischen den Rücken des angehenden Sumo- Ringers und meinen Bauch wird sie eingeklemmt. Jetzt nur nicht nach hinten rutschen und runterfallen. Nach ein paar Autoschlangen, durch die wir uns von Ampelanlage zu Ampelanlage schlängeln, erreichen wir den Autobahnzubringer und gleich darauf auch die Autobahn. Mit 60 – 80 Stundenkilometern rauschen wir hinab Richtung Meer. Es ist es inzwischen völlig dunkel geworden. Jetzt erkennt man deutlich, daß nicht jedes Auto und auch nicht jedes Moto-Taxi eine TÜV- geprüfte Beleuchtung vorweisen kann. Wozu auch ? Mein Vertrauen in das Scotchband, mit dem mein Koffer auf dem Gepäckträger festgebunden ist, nicht allzu groß ist, erkläre ich dem Sumo-Ringer, dass er bitte schön hinter dem Gepäck-Motorrad herfahren soll, damit wir mitbekommen, falls sich auch mein Koffer angesteckt durch die sozialistischen Parolen für die absolute Freiheit entscheiden sollte und vom Moped springen will. Nach einem der spärlich beleuchteten Tunnels bekomme ich einen Schlag ins Kreuz. Das
Schlagloch hat direkt auf die Felge durchgeschlagen und die Federbeine vom Moped hatten nicht mehr genügend Reserve. Somit müssen als letztes Glied in der Kette meine
Bandscheiben als Puffer arbeiten, wofür sie ja die Mutter Natur auch vorgesehen hat.
Wunder über Wunder, ohne weitere Contratiempos – Zwischenfälle- erreichen wir alle gesund und – ja ich muß es so sagen – überglücklich den Flughafen. Nun muss ich
noch bezahlen. Klar, als Gringo bezahlt man
ohnehin mehr als die Einheimischen. Da ich den Preis vor dem abenteuerlichen Ritt nicht
ausgemacht, hingegen meine Not allzu deutlich zu erkennen war, zahle ich nun den Preis, der
sich aus beiden Faktoren ergibt. Buisness as usual. Im Flughafen klappt heute alles wie am Schnürchen: Mein Flug ist noch nicht
geschlossen auch die Schlangen, um die Flughafengebühr zu entrichten oder durch die
Sicherheitskontrolle zu kommen, sind moderat. Gleich neben dem Gate treffe ich auf meine Kollegen. Leicht verwundert fragen sie mich, warum ich so abgehetzt ausschaue und berichten im gleichen Atemzug, dass der Flug sich verspätet. Eine Stunde später als geplant steigen wir in den Flieger, eine alte DC 9. Ein neues Abenteuer begann.

Johannes Schwendele

Ein Kommentar zu “Neulich in Caracas

  1. Atemlos geworden beim Lesen

    Like

Hinterlasse einen Kommentar